Interview mit Co-Autor Bernd Pröschold

Guided Stargazing - 25 Minuten Einführung in das Erlebnis Nacht ©VISIT DARK SKIES

Bild von Bernd Pröschold: Sternenhimmel in der Auvergne, FR

Bernd Pröschold, Autor von “Reiseziel Sternenhimmel”, Kosmos Verlag, 2018

Bernd Pröschold ist seit Jahrzehnten in den dunkelsten Gebieten der Welt unterwegs. Der erfahrene Time-Lapse-Fotograf ist Autor des Buches “Reiseziel Sternenhimmel”, das 2018 im Kosmos-Verlag erschienen ist.

Für VISIT DARK SKIES hat er den ersten Teil der Audio-Datei beigetragen - die Geschichten rund um den großen Wagen und die Anleitung zum Finden des Polarsterns. Im Interview erzählt er von einer Begegnung einem Leopard in der Savanne und warum die große Bärin perfektes “Besserwisser”-Wissen ist.

ED: Lieber Bernd, ich freue mich, dass ich dich als Co-Autor des Hörerlebnis unterm Sternenhimmel gewinnen konnte. Schließlich schlägst du mit deinem Buch „Reiseziel Sternenhimmel“ ebenso die Brücke von der Sternenbetrachtung zum Reisen, wie ich das bei VISIT DARK SKIES tue. Du bist eigentlich Kulturwissenschaftler, aber seit langem Timelapse-Experte für Himmelsaufnahmen. Woher kommt deine Begeisterung für die dunkelsten Gebiete der Welt?

BP: Unser Planet ist ja bloß eine Winzigkeit im Universum. Unter einem dunklen Himmel mit tausenden von Sternen kann sich jeder mit seinen eigenen Sinnen ein Bild von den Ausmaßen des Kosmos machen. Die hell erleuchtete nächtliche Großstadt ist das genaue Gegenmodell: ein Lichtermeer, welches die Illusion erzeugt, der Mensch habe die Welt erschaffen.

ED: Die besondere Herausforderung war es ja, für uns ein Stück zu schreiben, in dem man nur über das Hören Sterne sicher finden kann. Wie bist du dabei vorgegangen?

BP: Das Tolle beim Hörerlebnis ist ja, dass der Hörer bereits mit seinen Sinnen im Kosmos angekommen ist. Er blickt auf hunderte oder gar tausende funkelnde Sterne. Das Hörerlebnis muss bloß noch etwas Ordnung in dieses Durcheinander bringen. Und der Große Wagen ist ein guter Ausgangspunkt, den die meisten Leute schon kennen.

ED: Kann man das Hörerlebnis nun wirklich überall auf der Nordhalbkugel hören?

BP: Im Prinzip funktioniert das Hörerlebnis vom Nordpol bis etwa zum Mittelmeerraum. Dort ist der Große Wagen das ganze Jahr über zu sehen. Auf der anderen Seite der Erde, z.B. in San Francisco, funktioniert das Ganze natürlich auch. Weiter südlich, von den Kanarischen Inseln bis zum Äquator, verschwindet der Große Wagen im Herbst allerding vom Sternenhimmel und man hört das Sternenhimmel-Erlebnis am besten in der ersten Jahreshälfte.

ED: Welche Erfahrungen hast du in deinen Sternenführungen gemacht, kennen alle Menschen den großen Wagen?

BP: Ja, die meisten Leute kennen den Großen Wagen. Beim Kleinen Wagen wird es allerdings schon komplizierter. Der wird oft mit den Plejaden verwechselt.

ED: Die Geschichte über die große Bärin ist vermutlich häufig ein Aha-Effekt.

BP: Die Große Bärin ist ganz hervorragendes Besserwisser-Wissen: Die Bärin ist viel größer als der Wagen. Und ein Bär ist sie schonmal gar nicht.

ED: Im Skript sprichst du über das Volk der Sami. Wer ist das genau, und was hat die Interpretation der Sterne für dieses Volk bedeutet?

BP: Die Sami sind ein indigenes Volk, das im nördlichen Skandinavien ansässig ist. Ihre nomadische Lebensweise haben die Sami mittlerweile aufgegeben, aber ihre Mythen und Erzählungen leben weiter. Rentiere waren für die Sami überlebenswichtig und so ist es auch kein Wunder, dass sie am Sternenhimmel Jäger und Rentiere ausgemacht haben.

ED: Du hast noch das “Hubble Deep Field” ins Hörerlebnis eingebracht. Welche Bedeutung hat das Bild, und kennen es alle Astronomen?

Das Hubble Deep Field. Bild: Robert Williams (NASA, ESA, STScI), Public domain, via Wikimedia Commons

BP: Das Bild “Hubble Deep Field” des gleichnamigen Weltraumteleskops ist eine der bekanntesten Astrofotografien überhaupt. Jeder Amateurastronom hat das aus hunderten schwacher Nebelflecken bestehende Bild wohl schonmal gesehen. Das Bild zeigt eindrucksvoll, dass aus einem sternenübersähten Himmel ein galaxienübersähter Himmel wird, wenn man einfach nur tief genug schaut.

ED: Hast du das Hörerlebnis schon einmal selbst wirklich unter den Sternen gehört, seit es fertig ist? Wie war das für dich?

BP: Zu meiner Schande muss ich eingestehen, dass ich das Hörerlebnis noch nicht unterm Sternenhimmel gehört habe. Das liegt wohl daran, dass ich in sternenklaren Nächten permanent mit dem Fotografieren beschäftigt bin. Aber als ich die Produktion nach längerer Zeit mal wieder am Schreibtisch gehört habe, war ich sehr berührt. Die schönsten Geschichten schreibt wohl nicht ein Autor, sondern die Natur selbst.

ED: Was war dein größtes Abenteuer unter den Sternen?

BP: Die intensivsten Naturerlebnisse habe ich, wenn ich alleine unterwegs bin. Dann bin ich direkt mit der Natur konfrontiert und kann mich nicht in eine Kommunikationsblase zurückziehen. Es ist schwierig, da jetzt irgendeine Erfahrung herauszuheben zu wollen. Nachts mit einem Zelt auf einem Berg in Skandinavien, wenn sich im Tal Nebel bildet und darüber das Polarlicht tanzt, ist schon etwas ganz Besonderes. Man fühlt sich dann völlig vom Kosmos umschlossen, fast wie im Weltraum. Das durfte ich schon zwei Mal erleben. 

Nimmt man die Herzschlagfrequenz als Maßstab, war Namibia vielleicht das größte Abenteuer. Dort sind nicht nur Astronomen nachtaktiv, sondern auch Leoparden. Die wissen natürlich, wo sich Menschen aufhalten und meiden diese Orte tendenziell. Ich war aber mehrere Nächte völlig alleine mit meiner Kamera in der Savanne unterwegs. Einmal kam in der späten Abenddämmerung tatsächlich ein großes Tier auf mich zugestürmt. Ich konnte bloß die groben Umrisse erkennnen und weiß nicht, ob es tatsächlich ein Leopard war. Etwa 30 Meter vor mir ist das Tier abgedreht. Möglicherweise hat sich der Jäger gewundert, dass die Beute nicht flieht, wie es sich für eine ordentliche Gazelle gehört. Sondern einfach starr vor Angst neben dem Stativ stehen bleibt.

ED: Als Fotograf ist es Dir ja vermutlich auch wichtig, das nächtliche Geschehen im Bild festzuhalten. Was treibt Dich dabei an?

BP: Festhalten im eigentlichen Sinne kann ein Fotograf gar nichts. Umso wichtiger ist es, das Geschehen am Himmel mit den eigenen Sinnen wahrzunehmen. Der Fotograf erschafft eine neue Vision der Nacht. Aktuell dominieren grelle Farben und starke Kontraste. Damit erzeugt man in den sozialen Medien Aufmerksamkeit und sammelt Likes. Ich selber arbeite mich gerade etwas an der Horizontlinie ab. Die stört mich nämlich, weil sie Himmel und Erde trennt. Aber eigentlich ist die Erde ja Teil des Himmels bzw. des Kosmos. Die Horizontlinie muss also verschwinden; Dunst ist zum Beispiel ziemlich gut. Viele Bilder würde ich auch gerne einfach umdrehen, denn im All gibt es kein Oben und Unten. Wenn ich das mache, bekomme ich aber weniger Likes.

ED: Was würdest du den Hörern und Hörerinnen unseres Audio-Erlebnisses raten?

BP: Wir sollten nicht aufhören, uns zu wundern über das, was da am Himmel vor sich geht. Die Naturwissenschaft bleibt uns noch viele Antworten schuldig: Wie und woraus ist das Universum entstanden? Gibt es noch andere Universen? Warum gibt es überhaupt eine Welt? Wie wird das Universum enden? Sind wir allein? Und vor allem: Welche Rolle wollen wir Menschen in diesem kosmischen Theater spielen?



 
Etta Dannemann